Vielleicht geht es dir ähnlich: mit der Geburt des ersten Kindes kamen ganz neue Fragen auf. Wer kümmert sich ums Kind und wie lange? Wer verfolgt seine beruflichen Ambitionen und mit wie viel Zeiteinsatz? Wie vereinbaren wir den Wunsch nach Familie, Gemeinsamkeit und Großziehen der Kinder mit dem Bedürfnis nach Selbstentfaltung, Erfolg oder Karriere?
Mich beschäftigen diese Fragen auch 5 Jahre nach Geburt der Zwillinge immer wieder aufs Neue. Jennifer Petriglieri, Professorin für Organisationswissenschaften, sagt, dass das ganz normal ist, weil wir im Leben als Paar vor drei großen Übergängen stehen. Heute zeigen wir dir 3 Strategien, wie du diese Übergänge und die Work-Life-Family-Balance besser meistern kannst.
Vereinbarkeit
Jennifer Petriglieri hat über 100 Paare, in denen beide berufstätig sind, zu Themen wie Vereinbarkeit, Berufsentscheidungen und Care-Arbeit befragt. Laut Statistik fallen über 55% der Elternpaare in Deutschland in diese Kategorie.
Vorweg: Es gibt kein Richtig und kein Falsch in Fragen der Vereinbarkeit. Aber laut Petriglieri gibt es Muster. Nach ihren Erkenntnissen stehen Elternpaare im Laufe ihres Lebens vor 3 großen Übergängen:
- Vom Paar zum Elternpaar
- Vom Familienmodus zur Selbstverwirklichung
- Der Übergang zu einem neuen Rollenverständnis
Der Fokus heute liegt auf dem ersten Übergang, den Zeiten, in denen die Kinder noch kleiner sind und wir das Gefühl haben, wir müssten alles auf einmal stemmen. Vielleicht hast du diesen Übergang auch schon ganz gut gemeistert. Mir hat es die Augen geöffnet, die Herausforderungen, die wohl fast alle von uns haben, schwarz auf weiß zu lesen und vor allem über die längerfristigen Folgen von Entscheidungen am Anfang der Elternschaft nachzudenken.
Der Übergang vom Paar zum Elternpaar
Die Veränderung, die mit der Geburt des ersten Kindes einsetzt, ist natürlich sehr sichtbar: auf einmal halten wir einen wunderbaren kleinen Menschen in unseren Armen.
In anderen Bereichen ist der Übergang viel subtiler: konnten wir vorher auch als Paar noch weitgehend individuell unseren beruflichen Ambitionen oder Hobbys nachgehen und auch Phasen ausgleichen, in denen der eine mehr reisen oder die andere mehr arbeiten musste, verbindet uns die Geburt des ersten Kindes ganz anders.
Auf einmal geht es darum, gemeinsam Entscheidungen zu treffen, Prioritäten nicht mehr individuell zu setzen, sondern zusammen, Aufgaben aufzuteilen und Räume zu schaffen, in denen beide sich verwirklichen können.
Die große Frage, die wir laut Petriglieri in diesem Übergang und der sich anschließenden Phase beantworten: “Wie schaffen wir es, alles unter einen Hut zu bekommen?”.
3 Strategien, um Vereinbarkeit zu meistern
3 Strategien hat sie herausgearbeitet, wie wir dieser Herausforderung begegnen können. In vielen Fällen nicht nur ein Mal, sondern mehrfach, z.B. wenn ein zweites Kind geboren wird oder eine berufliche Neuorientierung ansteht. Es sind leider keine “Quick fixes” – es geht um Reflexion und Diskussion und das beansprucht leider viel Zeit.
1. Eine Paarvereinbarung treffen
Hört sich nach Ehevertrag an, ist aber eher ein Tool zur gemeinsamen Entscheidungsfindung. Es geht darum, mit dem*der Partner*in drei Themenbereiche in der Beziehung auszuloten und eine gemeinsame Basis zu finden: Werte, Grenzen, Sorgen. Grenzen sind z.B. geographisch: “Ich möchte nicht nach China ziehen”. Sorgen können z.B. sein: “Ich mache mir Sorgen, dass wir nicht genug Zeit für unser Kind haben, wenn wir beide Vollgas in der Karriere geben.”
2. Logistische Herausforderungen aktiv angehen
Kinder, Küche, Karriere, Krisenmanagement. Alles will irgendwie organisiert sein und nicht nur für uns, sondern auch für die Kinder. Petriglieri empfiehlt, die Organisationsaufgaben in 5 Schritten durchzugehen
- Alles auflisten, was fürs Familienleben erledigt werden muss. Wer Inspiration braucht, findet hier einen ersten Ansatzpunkt.
- Aktivitäten streichen, die keiner will oder erwartet. Für mich war das irgendwann: Bügeln. Seitdem stehe ich zu den Knitterfalten.
- Entscheiden, wer sich welche Aktivitäten zu eigen macht, weil er oder sie sie einfach gerne macht. Für mich ist das Backen – es macht mir Spaß und es tut mir gut, sofort Ergebnisse zu sehen.
- Gebt ab, was ihr abgeben könnt. Hier geht es um alles, was wirklich keinem von euch Spaß macht, aber gemacht werden muss und sich outsourcen lässt.
- Teilt den Rest auf – und zwar Ende-zu-Ende, ohne, dass eine*r ständig coachend eingreifen muss.
3. Berufspfade verstehen
Eine gute Strategie, um Entscheidungen darüber zu treffen, wer wann in welcher Intensität arbeitet, ist es, sich Berufspfade anzuschauen. Dabei geht es darum, dass jede*r für den eigenen Job einen typischen Verlauf über einen Zeitraum von 5 bis 10 Jahren skizziert, insbesondere in Bezug auf Arbeitsintensität, Reisetätigkeit, Notwendigkeit für Umzüge.
Dann legt ihr die beiden Pläne übereinander. Dieser Vergleich kann helfen, zu entscheiden, wer in welcher Phase mehr in die Arbeit investiert und entsprechend weniger Zeit für familiäre Tätigkeiten aufbringt. Auf der Basis könnt ihr z.B. entscheiden, 50/50 aufzuteilen oder ein Wechselmodell zu leben. Das sieht so aus, dass phasenweise (z.B. über 3-5 Jahre) erst die eine, dann der andere mehr Zeit in das berufliche Weiterkommen investiert. Der/die andere übernimmt in der Phase jeweils einen größeren Anteil der Familienarbeit
Vereinbarkeit ist individuell
Vereinbarkeit ist so individuell wie das Leben. Es gibt keine Lösung, die auf uns alle zutreffen würde, weil wir unterschiedliche Werte, Vorstellungen, Wünsche haben. Und weil jede Elternbeziehung anders ist.
Einen Blickwinkel, den wir nicht vergessen sollten: wie geht es unseren Kindern mit den Entscheidungen zur Vereinbarkeit, die wir treffen? Wir glauben, dass glückliche Familien von glücklichen Eltern gestaltet werden. Es hilft aus unserer Sicht daher nichts, wenn ein Elternteil zurücksteckt, obwohl er oder sie das eigentlich gar nicht will. Aber wie sagte Janet es so schön: wir haben 18 Sommer mit unserem Kind, solange sie zu Hause wohnen. Auch das sollten wir in unserer Reflexion und Diskussion berücksichtigen.
Zum Weiterlesen
Wer sich mehr mit den Übergängen im Leben als Elternpaar beschäftigen möchte und Strategien nicht nur für den ersten Übergang, sondern auch für die weiteren lernen möchte, dem sei Jennifer Petriglieris Buch „Couples That Work“ in seiner Gänze empfohlen.
Wenn dir trotz eurer Vereinbarungen und Absprachen manchmal alles zu viel wird im Familienalltag, dann interessiert dich vielleicht unser Audiokurs “Raus aus dem Mental Load”.
Quellen:
Petriglieri, J. (2019): Couples That Work: How To Thrive in Love and at Work. Penguin Life.
Petriglieri, J. (2020): Starke Partner in Job und Leben. https://www.manager-magazin.de/harvard/management/beruflich-erfolgreiche-paare-starke-partner-in-job-und-leben-a-00000000-0002-0001-0000-000167384117.