Antirassistische Erziehung
Wie wir zu einer toleranten, friedlichen Gesellschaft beitragen können
- Von Jutta Merschen
- Oktober 19, 2021
- Überprüft von Dr. Nkechi Madubuko

Inhaltsverzeichnis
Unsere Kinder erleben in ihren Kindergartengruppen und Schulklassen eine große Vielfalt. Kinder verschiedener Hautfarben aus unterschiedlichen Herkunftsländern spielen und lernen miteinander. Im besten Fall. Denn auch, wenn unsere Kinder täglich mit verschiedenen Religionen, Kulturen oder Sprachen in Kontakt kommen, bedeutet das nicht, dass sie zwingend tolerant miteinander umgehen. Im Alltag fallen immer wieder rassistische Äußerungen oder es wird rassistisch gehandelt. Deshalb wollen wir mit diesem Artikel ein Zeichen setzen gegen Rassismus, für Aufklärung, für Empowerment und für antirassistische Erziehung.
Wir haben uns dafür mit Dr. Nkechi Madubuko unterhalten, promovierte Soziologin, Autorin, freie Moderatorin und Diversity Trainerin. Sie befasst sich seit vielen Jahren mit den Themen Rassismuskritik, Diversitätssensibilität und dem Umgang mit Rassismuserfahrungen.
Wie kann ich mein eigenes Bewusstsein zu Rassismus schärfen
„Es gibt viele Wörter und Handlungen, die verletzend sind“ schreibt Nkechi Madubuko in ihrem Buch „Empowerment als Erziehungsaufgabe: Praktisches Wissen für den Umgang mit Rassismuserfahrungen“.
Meine erste Frage an sie war, wie ich mein eigenes Bewusstsein schärfen kann. Wie kann ich erkennen, ob etwas verletzend ist? Ich persönlich bin noch nie rassistisch angefeindet worden. Ich habe also kein Erfahrungswissen. Wie kann ich mich der Thematik nähern?
Wissen sei die wichtigste Grundlage, sagt Nkechi Madubuko. Es ist gar nicht so leicht kindgerecht über dieses Thema zu sprechen. Kinder, die selbst noch nie von Rassismus betroffen waren, müssen erst verstehen, wie Rassismus funktioniert und was rassistisches Denken ist. Wir müssen uns darüber klarwerden, dass wir in Deutschland eine sehr lange rassistische Historie haben, mit Schwarzen Menschen auf eine gewisse Art und Weise umzugehen. Über Jahrhunderte wurden ihnen bestimmte Eigenschaften zugeschrieben. Die “weiße Rasse” wurde hingegen als überlegen angesehen. Schon im 17. bis 18. Jahrhundert haben europäische Denker wie der Philosoph Immanuel Kant Rassentheorien entwickelt, die mittlerweile wissenschaftlich widerlegt wurden. Denn alle Menschen sind zu 99 % gleich.
Rassismus baut auf Glaubenssätzen und Denkmustern auf
Beim Rassismus gegen Schwarze Menschen geht es viel um Reproduktion von Denkmustern und Zuschreibungen. Die sind oft schon mehrere Jahrhunderte alt. Dadurch sitzen sie tief. Zusätzlich werden sie auch immer wieder in Kinderbüchern, in der Werbung und im täglichen Leben neu entfacht. Deshalb haben diese Annahmen immer noch eine unfassbar große Macht.
Beispiele für solche Zuschreibungen sind: Menschen aufgrund ihrer Schwarzen Hautfarbe automatisch als besonders musikalisch, sportlich oder tanzbegabt anzusehen. Oder die krausen Haare vieler Schwarzer Menschen als etwas Besonderes zu betrachten, anstatt einfach nur als eine von vielen möglichen Variationen, wie Haare sind.
Wie zeigt sich Rassismus im Alltag?
Ich wollte von Nkechi Madubuko auch wissen, in welchen Ausprägungen Rassismus vorkommt und wie Kinder ihn erleben.
Sie sagt, Rassismus zeige sich zum Beispiel, wenn man zu etwas Anderem, zu etwas Exotischem gemacht wird. Oder man als etwas Besonderes hingestellt wird, zum Beispiel wegen seiner Hautfarbe oder äußeren Erscheinung. Wenn Schwarze Kinder im Kindergarten gefragt werden, ob man ihnen in die Haare greifen dürfe, dann ist das eine rassistische Grenzüberschreitung. Oder wenn ein Schwarzes Mädchen nur mitspielen darf, wenn es seinen Mitschülerinnen Süßigkeiten mitbringt. Das ist eine Ausgrenzung, die ebenfalls als rassistisch zu betrachten ist. All das sind übrigens tatsächliche Beispiele, die Madubuko im Rahmen ihrer Trainings von Teilnehmer*innen erzählt bekommen hat. Unsere Aufgabe als Eltern ist es, unsere Kinder durch antirassistische Erziehung aufzuklären und gegenzusteuern.
Wo sind die Schwarzen Prinzessinnen?
Rassentheoretische Ideen spiegeln sich auch in Kinderbüchern, -filmen und -liedern, in Freizeitparks und auch im Schul- und Kindergartenmaterial wider. Es werden bestimmte Rollen zugeteilt. So gibt es zum Beispiel selten Schwarze Prinzessinnen, Helden oder Heldinnen. Stattdessen sind Prinzessinnen fast immer blond, weiß und haben lange Haare, so Nkechi Madubuko.
Auch, wenn wir es bewusst gar nicht wahrnehmen: Kinder achten auf diese Unterschiede. Dadurch lernen sie, welche Rollen Menschen mit ihren jeweiligen äußeren Merkmalen haben. Oder eben nicht haben. Sie bekommen diese Einteilungen bewusst oder unterbewusst schon ab dem Kindergartenalter mit. Später interpretieren sie diese Zuschreibungen und kommen dann zu dem Schluss, wer zugehörig ist und was Normalität widerspiegelt. Sie lernen, welches Merkmal mit Macht verbunden ist und entscheiden danach. Das kann sich dann auch im Verhalten untereinander ausdrücken. Zum Beispiel, wer auf die Schaukel darf, wer mitspielen darf oder nicht. Kinder, die solche Ausgrenzung erleben, brauchen Empowerment. Von Erzieher*innen ebenso wie von Eltern, damit sie nicht glauben, weniger wert zu sein.
Wie antirassistische Erziehung funktioniert
Wie können wir als Eltern die Entwicklung von Toleranz bei unseren Kindern stärken und sie bewusst antirassistisch erziehen? Nkechi Madubuko spricht in unserem Interview lieber von diversitätssensibler Erziehung. Diese bezieht eben auch andere Merkmale als die Hautfarbe mit ein. In ihrem Buch „Erziehung zur Vielfalt“ geht sie auch darauf ein, wie wichtig es ist, Ausgrenzung aufgrund von körperlichen, sozialen oder religiösen Merkmalen zu verhindern.
Für Madubuko ist eine diversitätssensible Erziehung eine Erziehung, die Vielfalt auf menschlicher Ebene mit Wertschätzung begegnet. Sie soll Empathie fördern, Unsicherheiten zur Bewertung anderer auf sachliche Weise klären und gezielt Impulse für Vielfalt im Alltag der Kinder setzen. Dabei ist das Ziel, zu vermitteln, dass Vielfalt normal ist. Außerdem verdient Unterschiedlichkeit Wertschätzung anstatt sofortiger Ablehnung.
Mit kleinen Kindern über Rassismus sprechen
Um kleinen Kindern dieses Thema näherzubringen, muss man nicht unbedingt den Begriff Rassismus verwenden, sagt Madubuko. Man kann mit ihnen aber über Ungerechtigkeiten sprechen. Zum Beispiel, wenn jemand aufgrund eines körperlichen Merkmals ausgegrenzt wird. Und man kann mit ihnen darüber sprechen, welche Bedeutung gewisse Merkmale haben und welche Bedeutung sie nicht haben.
Konkretes Beispiel: Dein Kind sagt, dass es nicht neben einem anderen Kind sitzen möchte. Es glaubt, dass seine Schwarze Hautfarbe abfärben würde. Hier solltest du eingreifen und ruhig und sachlich erklären, dass diese Aussage nicht stimmt und verletzend ist. Dunkle Haut ist wie jeder anderer Hautton nichts Besonderes und färbt nicht ab.
Impulse zur antirassistischen Erziehung im Alltag
Wichtig ist, dass wir unseren Kindern Vielfalt bei Spielsachen und im Kinderzimmer zeigen. Die schwarze Barbiepuppe ist für das weiße Kind genauso identitätsstiftend wie für das schwarze Kind. Schwarz sein gehört genauso wie alle anderen unterschiedlichen Hauttypen dazu. Es ist nichts Außergewöhnliches, so Madubuko. Genauso heißt weiß sein nicht, etwas Besseres zu sein. Und das sollten wir unseren Kindern möglichst früh vermitteln. Wähle also bewusst aus, welche Bücher, Lieder und Filme du deinem Kind zeigst und welche du nicht zeigst, weil sie rassistische Botschaften beinhalten.
Um unsere Kinder zu sensibilisieren, braucht es viele Gespräche, Kommentare und eigenes vorbildliches Verhalten. Vorurteile bilden sich auch dann geringer aus, wenn unsere Kinder vielfältige soziale Kontakte haben. Lass den Kontakt zu Kindern anderer Herkunft, Religion oder sozialen Status zu. Stehe daraus entstehenden Freundschaften offen gegenüber.
Wie gehe ich als Elternteil mit rassistischen Äußerungen meines Kindes um?
Eine Frage, die sich viele Eltern stellen: Was kann ich tun, wenn mein Kind rassistische Äußerungen tätigt? Oder wenn es Dinge wiederholt, die es aufgeschnappt hat? Zum Beispiel Wörter, die man nicht ausspricht. Nkechi Madubuko betont, wie wichtig es ist, in jedem Fall zu reagieren und diese Äußerung als Lernchance für das Kind zu betrachten.
Ignorieren wir Eltern das Gesagte, spielen es herunter. Auch wenn wir verschämt wegschauen, dann hat das erhebliche Auswirkungen. Es vermittelt deinem Kind die Botschaft, dass die Äußerungen und Kommentare in Ordnung waren. Das führt dann dazu, dass dein
Kind falsche Vorurteile verinnerlicht. Unsere Kinder brauchen hier die unmissverständliche Rückmeldung von uns Erwachsenen und die klare Abgrenzung von rassistischen Äußerungen. Erkläre deinem Kind sachlich, dass es viele verschiedene Hautfarben, Herkünfte, Sprachen und Religionen gibt. Keine sind unterlegen oder weniger zivilisiert.
Der Umgang mit rassistischen Äußerungen im Umfeld
Nicht nur in Kindergarten oder Schule sind Kinder möglicherweise mit rassistischen Äußerungen konfrontiert. Auch von Familienmitgliedern, Bekannten oder Freund*innen können sie rassistische Äußerungen mitbekommen. Wie gehen wir Eltern damit um, wenn jemand in unserem Beisein rassistische Stereotype wiedergibt? Etwa auf einer großen Familienfeier, Madubuko sagt: Haltung zeigen, auch wenn das nicht besonders angenehm in dem Moment ist.
Antirassistische Haltung zeigen
Antirassistische Erziehung bedeutet, klar deine Haltung auszudrücken, indem du zum Beispiel sagst: “Das ist ein Vorurteil und das teile ich nicht”. Hierbei ist Hintergrundwissen gefordert, damit du deine Ansichten begründen kannst. Außerdem kann du erklären, warum es nicht in Ordnung ist, rassistische Sprüche loszulassen. Auch wenn es schwierig ist und wir vielleicht auf Widerstände im familiären Umfeld stoßen. Trotzdem oder gerade deshalb ist es enorm prägend für unsere Kinder. Sowohl dass, als auch wie wir uns von rassistischen Bemerkungen abgrenzen. Antirassistische Erziehung fängt nicht bei den Kindern, sondern zunächst einmal bei uns selbst.
Die Eckpfeiler einer diversitätssensiblen, antirassistischen Erziehung
Sei dir selbst deiner Denkmuster bewusst. Setze dich mit der Historie und der Aktualität von Rassismus auseinander, zum Beispiel mit einem der unten genannten Bücher.
- Beobachte deine Sprache und deine Handlungen. Wie sprichst du über Schwarze Menschen? Ist dir bewusst, dass einige Wörter gar nicht mehr ausgesprochen werden, um ihre Verbreitung nicht zu unterstützen (wie zum Beispiel das N-Wort)?
- Vermittle deinem Kind: Vielfalt ist normal. Unterschiedlichkeit ist die neue Normalität, die dein Kind kennen sollte. Wir sind alle etwas unterschiedlich, aber diese Merkmale sagen nichts über unsere Begabung, unseren Charakter, unser Wesen oder unsere Leistungsfähigkeit aus.
- Bringe Vielfalt ins Kinderzimmer. Kaufe Kinderbücher und Spielzeug, die verschiedene Hautfarben, Haarfarben, Körpermerkmale, Kleidungsformen, Religionen, Familienmodelle und Lebensformen widerspiegeln. Eine kleine Inspiration findest du am Ende des Artikels.
- Entscheide dich bewusst gegen Inhalte, die rassistisch sind oder in denen Diversität fehlt. Du darfst deinem Kind sagen “Nein, das Buch zeig ich dir nicht, das lese ich dir auch nicht vor, das ist keine schöne Botschaft, die da drinsteckt.“ Dein Kind braucht deine Abgrenzung gegen rassistische Botschaften, um zu lernen, dass es sich ebenso positionieren kann
- Ermögliche deinem Kind vielfältige Kontakte. Stehe den Klassekamerad*innen deines Kindes und seinen Kindergartenbekanntschaften grundsätzlich offen gegenüber. Wenn eine Freundschaft entsteht, unterstütze dein Kind. Zum Beispiel, indem es Freunde und Freundinnen nach Hause einladen darf. Suche auch Freizeitbeschäftigungen für dein Kind, bei denen ihr aus eurer typischen Lebenswelt rauskommt.
- Reagiere immer auf rassistische Kommentare und grenze dich davon ab. Egal ob dein Kind, seine Freund*innen oder deine Familienmitglieder rassistische Äußerungen oder Witze machen: Es ist unsere Verantwortung als Eltern, diese abzulehnen und sachlich richtigzustellen.
- Nimm dein eigenes Kind ernst. Sollte dein Kind von Rassismus betroffen sein, hör ihm zu und nimm diese Grenzüberschreitung als Verletzung ernst. Bilde eine Gegendarstellung zu den Stereotypen, die es über eure Gruppe gibt. Biete deinem Kind auch Strategien an, um sich nicht ausgeliefert zu fühlen. Mehr dazu erfährst du in Nkechi Madubukos Buch „Empowerment als Erziehungsaufgabe: Praktisches Wissen für den Umgang mit Rassismuserfahrungen“.
Wir alle sind unterschiedlich, und dennoch sind wir fast gleich. Deinem Kind einen wertschätzenden Blick auf Diversität und Unterschiedlichkeit zu vermitteln, ist eine elementare Aufgabe. Ihm beizubringen, dass Merkmale wie Hautfarbe, Religion oder Sprache irrelevant sind für die Einschätzung der Liebenswürdigkeit und Sympathie von Menschen, ist vielleicht die größte Verantwortung, die du als Elternteil hast. Für dein Kind und für die Gesellschaft von morgen.
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Buch- und Spielzeugempfehlungen
Bücher von Dr. Nkechi Madubuko
Das neue Buch, wie antirassistische Erziehung gelingen kann. Erschienen am 18. Oktober 2021!
Ein ermutigendes Buch für Eltern, deren Kinder von Rassismus betroffen sein könnten.
Das Handbuch für pädagogisches Personal.
Kinderbücher, die Diversität vorleben
Das Buch zum Körper in all seiner vielfältigen und unterschiedlichen Schönheit.
100 Geschichten über außergewöhnliche Frauen, die die Welt verändert haben.
Ein Aufklärungsbuch für Kinder ab 5 Jahren, das Diversität feiert.
100 Geschichten über außergewöhnliche Männer, die die Welt verändert haben.
Kalle und Elsa auf großem Abenteuer am Strand. Das Lieblingsbuch unseres jüngsten Sohnes.
Eine Geschichte, die Kindern zeigt, wie verletzend rassistische und diskriminierende Sprache ist.
Spielzeug, das die Unterschiedlichkeit wertschätzt
12 Stifte für all die unterschiedlichen Hauttöne.

Eine „Positiv-Liste“ vom verband binationaler familien und partnerschaften, Landesverband Hamburg. Stand Januar 2019
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