Hauen, Treten, Beißen
Das hilft, wenn dein Kind aggressives Verhalten zeigt

- Oktober 7, 2020
- Jutta Merschen
Aggressives Verhalten bei Kindern
Es ist unangenehm, wenn das eigene Kind ein anderes beißt, kratzt oder haut. Doch auch wenn sich nicht jedes Kind so verhält, gehen sehr viele Kinder durch diese Phase. Vor allem im Alter von 2-4 Jahren, aber auch noch etwas später. Im Vorschul- und Grundschulalter wird gelegentliches aggressives Verhalten deshalb sogar als relativ normal eingestuft.
Aber was steckt dahinter, wenn unser Kind aggressives Verhalten zeigt? Und wie gehen wir als Eltern am besten damit um? Dazu haben wir heute 6 Tipps für dich.
Ein Modell zur Erklärung von aggressivem Verhalten
Der Schweizer Kinderarzt Remo Largo hat das Konzept der “Misfit-Konstellation” entwickelt, das eine mögliche Erklärung für die Entstehung von Aggressivität ist. Es geht davon aus, dass in unseren Kindern ein erhebliches Maß an Frustration entsteht, wenn Kompetenzen noch nicht entsprechend entwickelt sind und Kinder deswegen in der Ausübung von gewünschten Aktivitäten gehindert werden. Ein „Misfit“ eben.
Beispiel: Klara hat eine genaue Vorstellung davon, was sie gerne malen möchte. Ihre motorischen Fähigkeiten sind jedoch noch nicht so weit, sodass ihre Versuche fehlschlagen und andere Kinder sie deswegen aufziehen. Die Frustration, die entsteht, kann sich in Traurigkeit, Zurückgezogenheit oder eben in Aggressivität und Konflikten entladen.
Ursachen für aggressives Verhalten
Es gibt natürlich auch andere Ursachen für kindliches Verhalten, das uns aggressiv erscheint:
- Bedürfnis nach Aufmerksamkeit: wenn dieses Grundbedürfnis unerfüllt ist, tun Kinder unter Umständen viel, um es zu befriedigen. Auch “negative” Aufmerksamkeit wie eine Ermahnung oder Zurechtweisung ist immer noch Aufmerksamkeit.
- Starke Gefühle: Kindern fällt es oft schwer, überwältigende Gefühlen wie Wut, Hilflosigkeit, Ohnmacht, Scham, Erschöpfung oder Verzweiflung zu regulieren. Treten, Beißen, Hauen etc. ist dann ein Versuch, mit diesen Gefühlen umzugehen.
- Überstimulierung: Wenn von außen zu viele Eindrücke auf unsere Kinder einprasseln, etwa großer Lärm, viele Menschen oder überraschende Helligkeit/Dunkelheit, kann ihnen das zu viel werden. Eine Strategie, damit umzugehen, ist der körperliche Ausdruck dieses Unwohlseins.
- Ursache und Wirkung: “Was würde wohl passieren, wenn…?” Natürlich denkt kein Kind so einen Satz bewusst, aber Kinder sind neugierig. Sie möchten wissen, welche Wirkung ihr Handeln auf die Umwelt und andere Menschen hat und wo sich Grenzen auftun.
Nicht immer kennen wir die Ursache des aggressiven Verhaltens unserer Kinder. Unsere 6 Tipps helfen dir dabei, damit umzugehen.
Unsere 6 Tipps für den Umgang mit aggressivem Verhalten bei Kindern
1. Bei Gefahr eingreifen
Sind andere Personen durch das aggressive Verhalten gefährdet, schnell eingreifen. Geh zu deinem Kind, bitte es ruhig und bestimmt, aufzuhören und mitzukommen. Du kannst es dabei an den Händen nehmen, umarmen oder zur Not hochheben, sodass es nicht weiter schlagen oder beißen kann.
2. Gemeinsam zurückziehen
Eine räumliche Trennung schafft Distanz zur Situation und verhindert, dass andere zugucken und sich dein Kind dadurch beschämt fühlt. Wichtig: falls ein anderes Kind verletzt wurde, sollte es Unterstützung von jemand anderem erhalten. Wenn das nicht geht, trenne die Streithähne und kümmere dich zuerst um das andere betroffene Kind.
3. In Kontakt bleiben
Gerade wenn starke Gefühle dein Kind überrollen und es sich nicht anders zu helfen weiß, braucht es die Sicherheit deiner Anwesenheit. Dadurch kann es sich selbst beruhigen und regulieren. Bleib bei deinem Kind, leg ihm oder ihr die Hand auf den Rücken, wenn es das erlaubt und warte, bis es Kontakt zu dir aufnimmt.
4. Vorbild sein
Es bringt leider nichts, einem Kind zu sagen, dass es sich entschuldigen soll, denn eine erzwungene Entschuldigung ist kein Ausdruck von Empathie. Stattdessen kannst du ein Vorbild sein. Zum Beispiel, indem du zu dem anderen Kind hingehst und sagst: “Das tut sicher sehr weh. Es tut mir leid, dass ich nicht schnell genug da war. Sollen wir ein Kühlpack holen?”.
5. Verbalisieren des aggressiven Verhaltens
Hat sich dein Kind ein wenig beruhigt, solltest du das Verhalten mit deinem Kind besprechen. Du kannst zum Beispiel sagen: “Max weint, weil es ihm wehgetan hat, als du ihn gehauen hast. Deshalb hauen wir nicht.”
6. Alternativen finden
Wichtig ist, mit deinem Kind zusammen zu überlegen, welche Möglichkeiten euch einfallen, um mit starken Gefühlen besser umzugehen: Mama oder Papa Bescheid sagen und um Hilfe bitten? Im Kindergarten: eine*n Erzieher*in holen? Lieber weggehen, als zuzuschlagen? Zu Hause: in ein Kissen boxen? Wenn man sie in einer wertschätzenden Atmosphäre fragt, kommen die meisten Kinder auf gute Lösungen.
Wenn die Situation ausgestanden ist
Die Situation ist gelöst und dein Kind hat sich beruhigt. Jetzt ist es wichtig, dass du dein Augenmerk auf das richtest, was funktioniert. Und das heißt: lobe erwünschtes Verhalten gezielt. Dein Sohn kommt zu dir und sagt, dass er sehr wütend auf seine Schwester ist? Deine Tochter haut den Sandkastenfreund nicht, obwohl ihr dieser einfach die Schaufel weggenommen hat? Das sind perfekte Gelegenheiten für beschreibendes Lob – und natürlich auch für die gemeinsame Lösungsfindungen. Dadurch merkt dein Kind “Ich kann das anders regeln.”
Unterstützung holen ist erlaubt
Die eigene Familie ist der sichere Rahmen, in dem ein Kind sich ausprobiert. Treten, Hauen oder Kratzen kommen dort meist häufiger vor als im externen Umfeld. Wenn aggressives Verhalten von Kindern als überdurchschnittlich ausgeprägt wahrgenommen wird, kann es dir helfen, die Ursachen bei dem*der Kinderärzt*in oder in einem sozialpädiatrischen Zentrum abzuklären. Sich Unterstützung zu holen ist ein Versuch, das eigene Kind besser zu verstehen – und somit eine große Liebeserklärung.
Aggressivität kann immer auch ein Ausdruck unbefriedigter Bedürfnisse unserer Kinder sein. Deshalb ist es wichtig, dass wir diese immer im Blick haben. In unserem Audiocoach „Das glückliche Kind: Bedürfnisorientiert erziehen“ erhältst du Hintergrundwissen, Tipps und Tricks, wie das funktionieren kann.
Quellen:
Esslinger, J. (2017): Aggressive Kinder – was ist normal?. https://www.fritzundfraenzi.ch/erziehung/aggressive-kinder-grunde-und-tipps-fur-eltern/.
Plück, S. (2020): Aggressives Verhalten bei Kindern ist ein Stück weit normal!. https://www.familie.de/kleinkind/aggressives-verhalten-bei-kindern/.
Treier, A.-K. (2020): Tipps zum Umgang mit Wut und Aggression bei Kindern. https://www.kaenguru-online.de/themen/familienleben/tipps-zum-umgang-mit-wut-und-aggression.